Eidgenössische Volksabstimmung vom 9. Februar 2014: Abtreibungsfinanzierung und die Sache mit dem finanziellen Moralin.

Am 9. Februar stimmt der Schweizer Souverän, also das Stimmvolk, wieder über drei Vorlagen ab. Gelebte Demokratie, gut! Ich wundere mich allerdings über verschiedene Aspekte der eidgenössischen Vorlagen. Heute: Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache?, zweiter Teil.

Wie bereits erläutert ist der Initiativtext kurz und knapp gehalten, so dass gilt – schlussendlich entscheiden sowieso Bundesrat und Parlament zum Beispiel über die »seltenen Ausnahmen«, das Stimmvolk hat direkt nichts dazu zu sagen.

Etwas weniger schwammig sind die Argumente von Initiativbefürwortern und -Gegnern, wenn es um den Titel der Abstimmung geht: Das Finanzielle. Ob diese Argumente allerdings ehrlich sind? Ich hege da starke Zweifel.

Im Abstimmungsbüchlein zeigt sich das Initiativkomitee bedeckt, wenn es tatsächlich wie im Titel der Vorlage um Geld geht. Während Elvira Bader (a. Nationalrätin CVP, SO) mit so etwas wie rudimentärer Logik zu argumentieren versucht:

Schwangerschaft ist keine Krankheit, und deshalb gehört Abtreibung auch nicht in die obligatorische Grundversicherung,

spricht Peter Föhn (Ständerat SVP, SZ) davon, dass

bei dieser Gewissensfrage »Solidarität« ihre Grenzen [hat]: Niemand soll gezwungen sein, gegen seine Ethik und Moral Abtreibungen mitzufinanzieren.

Werner Messmer (a. Nationalrat FDP, TG) stellt fest, dass diese Initiative Abtreibungen nicht verbiete, sondern dass gelte:

Abtreibungen sollen selber bezahlt oder privat versichert werden!

Auf Messmer komme ich im Anschluss zurück.

Bleibt noch Valérie Kasteler-Budde, Co-Präsidentin EVP (GE), die davon spricht, dass

[d]iese Initiative 1000 Kinder pro Jahr [rettet], die Gewissensfreiheit wieder her [stellt] und die Krankenkassenprämien [senkt].

Endlich, der Titel des Initiativtexts wird beachtet! Der lautet immerhin nicht »Abtreibungsfinanzierung ist Gewissenssache«, sondern »Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache – Entlastung der Krankenversicherung durch Streichung der Kosten des Schwangerschaftsabbruchs aus der obligatorischen Grundversicherung«. (Meine Hervorhebungen.)

Das Komitee spricht in der Liste auf Seite 23 von »8-20 Mio. Franken pro Jahr«, die so gespart werden können. Ich bin gespannt.

Die Liste führt, wie Kasteler-Budde, »1000 gerettete Kindern pro Jahr« auf. Mindestens tausend. Dann folgt: »Die Kosten für 11.000 Abtreibungen und Mehrlingsreduktionen und die hohen Folgekosten für jahrelange Therapien von 1000 Abtreibungen.«

Ich verstehe diese Zahlenvermengung nicht. Bei rund 11.000 Schwangerschaftsabbrüchen im Jahr incl. Mehrlingsreduktionen (BFS, Stand 2012) kommen ~8 Millionen Franken Gesundheitskosten zusammen, also rund 3 Promille der gesamten Gesundheitskosten. Da würden mir aber effizientere »Entlastungsmöglichkeiten« einfallen.

Wenn das Komitee 8-20 Millionen Franken Kostenersparnis verspricht muss das heißen: Kein Schwangerschaftsabbruch wird mehr auch nur schon anteilig von der obligatorischen Krankenversicherung finanziert, anders kann eine solche Kostenersparnis nicht erreicht werden. Wenn das Initiativkomitee die Zahlen so gewählt hat, um die »Folgekosten für jahrelange Therapien von 1000 Abtreibungen« mit einzubeziehen lassen sich diese 8-20 Mio. nur dann sparen, wenn es gar keine Abtreibungen gibt. Denn – weshalb sollen genau die Mütter der »1000 geretteten Kinder« diejenigen sein, die Therapiekosten produziert hätten? Was ist mit den anderen 10.000 Fällen?

Kommt hinzu – einen mehr oder weniger großen Teil der Kosten zahlt schon heute die Frau, durch Franchise und Selbstbehalt. Wie hoch sich eine tatsächliche Kostensenkung in der Grundversicherung auf die von Kasteler-Budde eingebrachten Krankenkassenprämien auswirkt darf sich jeder selber ausrechnen: Belegte Gesamtkosten sind rund 8 Millionen Franken, ein Teil davon selbst bezahlt. Wenn die gesamten »gesparten Kosten« 1:1 den Prämienzahlern gutgeschrieben würden macht das also ~0,03% der Krankenkassenprämien aus. In meinem Fall wären das rund sechs Franken. Im Jahr. Wow!

Aber zurück zu Messmer. Er sagt, dass diese Initiative Abtreibungen nicht verbiete, man soll nur selbst zahlen oder sich privat versichern. Ganz einfach, voll liberal, nicht?

Aber wer genau soll sich privat versichern?

Dazu fand ich keine konkreten Belege von Befürwortern. Aber etwas sagt mir, dass sich die Herren der Schöpfung kaum vorsorglich eine private Zusatzversicherung zur Finanzierung einer Abtreibung zulegen werden. Die Versicherer könnten das zwar unter einem netten neutralen Decknamen anbieten (»Unfallversicherung pränat.«), damit eine etwaige gehörnte Ehefrau beim Öffnen der Post nicht stutzt. Dialoge wie »Schatz, ich bin schwanger!« – »Kein Problem, ich bin versichert!« machen sich sicher extrem gut als Werbespot. Oder »Liebe Schweizer Mobiliar, gestern ist das Kondom gerissen …«

Allen Sarkasmus bei Seite: Eine etwaige Finanzierung wird an den Frauen hängen bleiben. Und ich frage mich, wenn Abtreibungen heute schon so preiswert sind, dass es laut Messmer zu keinen »illegalen Abtreibungen führt«, wenn Frau es selbst bezahlen muss – weshalb soll sie sich dann zusatzversichern wollen?

Die mutmaßlichen wahren Absichten der Initiative lassen sich bei Föhn und Kasteler-Budde im Abstimmungsbüchlein erahnen. Die Website des Initiativkomitees ist in der Hinsicht aber deutlich direkter:

Wollen wir Mittäterinnen und Mittäter sein?

Obwohl die Statistik etwas anderes sagt spricht das Argumentarium davon, dass »8 bis 20 Mio. Franken […] jährlich für die Durchführung von Abtreibungen aufgewendet [werden]. Die wesentlich höheren indirekten Kosten, die durch psychische Störungen entstehen, sind da noch nicht miteingerechnet.«

Also nix da mit den 8-20 Millionen aus dem Abstimmungsbüchlein für Schwangerschaftsabbrüche incl. Therapien. Nein, letztere kommen dann noch zusätzlich, und auch nicht nur »für jahrelange Therapien von 1000 Abtreibungen«, wie im Büchlein zu lesen. Der Tenor ist deutlich: Wer abtreibt, wird eine psychische Störung erleiden.

Auf der Website wird die Vermeidung von Abtreibungen bzw. das »Retten von Kindern« stärker betont als es der Titel der Initiative, der Initiativtext sowie die Argumente des Komitees im Büchlein tun. Unter anderem ist »eine große Metastudie (Zusammenfassung von 38 US-Studien)« angegeben. Leider ohne Quellenangabe, so dass man die Randnotiz aus dem Abstimmungsbüchlein, »38 Studien belegen, dass Abtreibungen deutlich abnehmen, wenn sie privat bezahlt werden«, nicht ohne weiteres überprüfen kann.

… ganz ab davon, dass es offenbar nicht 38 Studien waren, sondern eine einzelne Meta-Studie. Kam die Mehrheit der untersuchten Studien zu diesem Schluss? Kam eine Minderheit zu diesem Schluss, war aber qualitativ besser als der Rest? Kamen doch alle 38 Studien zu diesem Schluss? Das weiß man nicht.

In wiefern sich diese Meta-Studie auf die Schweiz anwenden lässt ist offen, ihre Qualität ist offen, diejenige der untersuchten Studien ebenso. Aber aus irgend einem Grund kommt das Komitee trotzdem zum Schluss: »In der Schweiz ist mit einer Abnahme von schätzungsweise 10% (bei 11’100 Abtreibungen im Jahr 2011) zu rechnen.« Wie? Warum? Auf welcher Grundlage? Kaffeesatzlesen?

Und weshalb wird eigentlich mit weniger Abtreibungen argumentiert, wenn es doch »nur« um die Finanzierungsfrage gehen soll, nicht um die Entscheidung der Frauen? Will die Initiative also gar nicht die Krankenkassenprämien und Gesundheitskosten reduzieren, sondern Abtreibungen als solche?

Die Werbekampagne setzt dann auch, entgegen des vorgeschobenen (?) Grundes der Volksinitiative, auf ein Pferd namens Ethik und Moral. Von »Kostenersparnis« ist auf Plakaten und online nur noch wenig zu lesen. Moralin, nichts weiter. »Ich will doch keine Abtreibungen mitfinanzieren müssen! (Mutter mit Baby, 3 Monate).«

Dazu passt auch das bereits letztes Mal zitierte Interview Baders mit dem Newsnetz vom 11. Januar:

Abtreiben hingegen bedeutet in meinen Augen das Töten von Leben. Und das gehört nicht in die Grundversicherung. Beim Töten hat die Solidarität eine Grenze.

Wenn das Initiativkomitee aus moralischen Gründen am Solidaritätsprinzip der obligatorischen Krankenversicherung rütteln und auf ein Verursacherprinzip umschwenken will – kein Problem. Gebt eine entsprechende Volksinitiative vor, ich bin mir sicher, viele Veganer und Vegetarier finden es auch blöd, die höhere Inzidenz von Darmkrebs bei verantwortungslosen und unethischen Fleischessern mitzufinanzieren. (Ja, das war auch Sarkasmus.)

Wenn das Initiativkomitee Abtreibungen aus ethisch-moralischen Gründen vermeiden oder gar verbieten will – kein Problem, EDU-Politiker Heinz Hürzeler hat bereits eine entsprechende Initiative im Köcher.

Aber bitte, liebe Befürworter und liebes Initiativkomitee, schiebt nicht lächerliche 3 Promille der Gesundheitskosten als Argument vor und kommuniziert dann doch mit eurem Ethikverständnis und »1000 geretteten Kindern«.

Persönlich finde ich es ethisch fragwürdiger, wenn die Entscheidung der Frau – die das Initiativkomitee ja angeblich (?) nicht beschneiden möchte – mit der Frage der Abtreibungsfinanzierung verbunden wird. Wie soll eine eigenverantwortliche Entscheidung gefällt werden, wenn diese an solche etwaigen Sachzwänge gekoppelt ist?

tl;dr: Initiativkomitee und viele Befürworter scheinen die Gesundheitskosten lediglich als Grund vorzuschieben, um ihre eigenen Vorstellungen von Ethik und Moral (wieder) breiter zu etablieren. Dabei bedienen sie sich Schätzungen, machen aus einer unbelegten Einzel-Meta-Studie 38 Studien in ihrem Sinne, kommunizieren entgegen des Titels der Initiative mit »Grenzen der Solidarität« und ethischen Bedenken – und geben den Ball dann trotzdem an Bundesrat und Parlament weiter, statt eine griffige, ehrliche Initiative zu liefern.

Ich werde die Volksinitiative »Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache – Entlastung der Krankenversicherung durch Streichung der Kosten des Schwangerschaftsabbruchs aus der obligatorischen Grundversicherung« entsprechend nur zu gern an der Urne mit einem NEIN quittieren.

8 thoughts on “Eidgenössische Volksabstimmung vom 9. Februar 2014: Abtreibungsfinanzierung und die Sache mit dem finanziellen Moralin.

  1. Sascha Post author

    Luisa,

    so könnte man das auch sehen – zumindest für die katholische Kirche ist Empfängnisverhütung ja noch immer Teufelszeug. 😉

    Über 50% aller Abtreibungen in der Schweiz gehen offenbar Verhütungsfehler / fehlgeschlagene Verhütung voran. (Zumindest laut Anne-Marie Rey: http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Eine-Geburt-ist-zehn-Mal-teurer-als-eine-Abtreibung/story/27838385/print.html) Aber nun ja, so ein Kondom kann eben doch mal reißen, die Pille hat auch keinen Pearl-Index von 0 …

  2. eveline

    Liebe sascha…i bi per zuefau uf di blog-iitrag gstosse. Merci für di wunderbar formulieierte gedanke zu dere schiinheiligkeit, wo mir bi dere initative o so sehr ufe wecker geit! Just made my day! 🙂 merci

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